Paolo Carosone


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Plastica Visionaria

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Nachdem ich die jüngsten Arbeiten von Paolo Carosone in seinem Atelier in Rom gesehen hatte, kam ich durch eine jener komplexen, geheimnisvollen Assonanzen, die oftmals aus der Gegensätzlichkeit entstehen, auf den Gedanken, einige Seinteu aus A soiméme wiederzulesen, dem Tagebuch, das Odilon Redon zwischen 1867 und 1915 geführt hat. "J'ai fait un art selon moi", schreibt der symbolistische Maler. "Toute mon originalité consiste donc à (aire vivre humainement des étres invraisemblables selon les lois du vraisemblable". Redon ging es um eine phantastisch-biologische Kunst, und sein besonderes Interesse galt dem Phänomenen der Keimung. Nicht zufälling war er mit dem Botaniker Clavaud befreundet und Pasteur, der ihn bewunderte, nannte seine unheimlichen Geschöpfe lebensfähig, viables. Die Lektüre des Journal erhärtet diese beinahe bis zur Besessenheit gehende Idee vom organischen Wachstum, die Redon auch auf die geistigen Vorgänge übertrug. Ungeachtet zahlreicher thematischer und sprachlischer Unterschiede besteht kein Zweifel, daß zwischen Redon und Carosone eine feine unterirdische Verbindungsader verläuft: beide verstehen die Kunst als ein universales und zugleich intimes Faktum. Beide "erforschen unentwegt ihre eigenen Erinnerungen", beide haben ein starkes Interesse an der Wissenschaft und vorzugsweise an der Insektenkunde. Aber der Symbolismus von Redon ist immer naturverbunden, wohingegen Carosones Symbolismus intellektuell und konzeptionell ist. Redon schafft Wunderdinge, die, genährt vom reichen Humus seiner ungewöhnlichen Einbildungskraft, ihm nicht selten ins Traumhafte entrücken. Carosone entwirft mit kaltem Enthusiasmus seine Wunderwesen, deren absoluter Schöpfer er bleibt. Der Neosymbolismus Carosones, obwohl gleichsam mit einer Nabelschnur an die Erinnerungen der Kindheit geknúpft, nimmt Science-fiction Charakter an. Eine kalte, aseptische, asketische Welt, bewohnt von einem Geschlecht von Heroen-Robotern, die Natur unterjocht haben und sie für ihre Zwecke in Winterstarre versetzt haben. Eine Welt, vom Wilien zur Macht und von der Ruhmsucht beherrscht (die Auslese hat die " Heroen" hervorgebracht), eine Welt, die den Schrecken vor der Umweltkatastrophe neutralisiert hat, dank der absoluten Vorherrschaft von Wissenschaft und Technik. Aber Vorsicht! " Die Wissenschaft", wie Merleau - Ponty in 1'Oeil e I'Esprit' geschrieben hat, " manipuliert die Dinge und nimmt ihnen ihr Leben. Sie ist, und ist es immer gewesen, dieses bewundernswert aktive, erfinderische, unbefangene Denken, dieser Entschluß, jedes Wesen als Objekt im allgemeinen anzusehen, das heifßt als etwas, das nicht zu uns gehört und dennoch für unsere künstlichen Eingriffe prädestiniert ist. " Wenn ein Künstler sich auf Wissenschaft und Technik einläßt, so ist das gleichbedeutend mit dem Eintritt in ein experimentelles, luzid programmiertes Reich. Carosone hat daher nicht zufälling für seine Science-fiction Plastiken die klare, genaue und antisubjektive Sprache des Neoklassizismus gewählt. Auch das von ihm verwendete makellos weiße Epoxydharz erinnert an das kalte Weiß des Marmors, der von den neoklassizistischen Bildhauern bevorzugt wurde, die den technischen Komponenten und der Ausführung ihrer Werke stets höchste Bedeutung gaben. Sie woliten sie frei von jedweder Willkür und Gemütsstimmung. Eine weitere Affinität Carosones zum Neoklassizismus wird deutlich in seiner Vorliebe für das Lehrhafte und Didaktische. Die "Tavole di animali", gewonnen aus geduldigen, äußerst genauen Abgüssen, bilden ein kleines " Museum der Unnaturgeschichte", während die Assemblages von Zeichen, Signalen und Schriften eine Art geschriebener Skulptur ergeben, die Carosone "technologische Hieroglyphen" nennt. Als Neosymbolist den Inhalten nach, als Neoklassizist seiner Sprache nach, als Experimentator in den Techniken, ist Carosone ein Künstler, der, nachdem er seiner Vergangenheit entsagt hat (seine früheren Arbeiten kreisten hauptsächlich um die Erinnerung), sich dem Alptraum der Zukunft stelit und ihn neutralisiert, indem er ihn programmiert und modellhaft ausführt. Eine Ausführung, die Herausforderung ist, Herrschaft ist, ein Antidot, das die Angst in ein beruhigendes Gefühl von Macht verwandelt. In diesem subtilen Spiel zwischen Bitternis und Ironie verflüchtigt sich sogar die Angst vor dem Tod, wobei an die Stelle seines dunklen Sogs ein weifßes Licht der Ewigkeit tritt, das sich stili, ohne Schattenfelder ausbreitet. Dies und nichts anderes bedeutet neben dem Geschlecht der "Herobots" Carosones Entwurf seinen eigenen Grabmals. Die in das Harz eingeschlossene Asche wird Inhalt und Gefäß. Dergestalt wäre in diesem symbolischen Monument für den vergänglichen Menschen und den unvergänglichen Künstler der beängstigende Dualismus von Sein und Nichtsein überwunden.

LORENZA TRUCCHI
(Übertragung ins Deutsche:
Christine Koschel und Inge von Weldenbaum)



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